Peter Reichenbach

Bildende Kunst, Soziokultur

Poesie

 Zechenhalde

 

Auf der alten Halde trafen sich im wintergrauem Schlick

Der Wilden Möhre zittrig Krönchen im Geleit von junger Birk 

 

Stahlkarkassen brüchger Mantel, Mennigerot der letzte Halt 

Zeugen einer alten Botschaft die nie hielt für was sie galt

 

Eisenschienen, Stacheldraht, Nieten, Polymere Bolz 

Nunmehr entropierlich tropfen, einstmals imperialer Stolz

 

Auf der Halde treffen sich im wintergrauen Schlick

Bittergras verwahrt sich Samen und das Sparkkraut wartet mit

Glitzer

Unter Apfelrotemglanz

Neben Nackenhaargold

Verdeckt Ziegelpudersanft

Verborgenes Neroligrünesgelb

Unterstreichen Kiesellichterblau

Verspieltes Quarzgangpurpur

Auf Hasenhinternweiss

Mit Glitzer 

 

Sommervielliebchen auf Waldbodenalbum

Manches mit Glitzer 

Einigkeit als nährende Pulpe

Vergehend mit Glitzer 

 

Blattsspreitenflügel ohne Versprechungen 

Lingerales  in Fantasien 

Strukturiertes in sichtbarer Mahnung

Vergebens trotz Glitzer 

 

Novemberkörper im Nebelhemd

Kinderfaust mit Farbenfächer

Getragen wie ein Raub 

Vergnügtes Glitzer

Keine Angst

 
Foto:
 

Der Blaue Salon - Lichtburg Essen

Im Blauen Salon, in Deutschlands größtem Kino, sind die Wände voller Handabdrücke von Filmschaffenden der letzten 25 Jahre – mit einer Sammlung von circa 500 Exemplaren eine meiner langwierigsten Arbeiten.

 

Auf den Hintergrundplatten sowie den Möbeln ist ein besonderes Blau verarbeitet. Dieser Farbstoff, der aus einem Kapselbrand in einem speziellen Lehmofen hergestellt wird, ist einer der Favoriten aus meinem sevengardens-Projekt.

 

Persisches Märchen vom Haus im Haus

Von einem iranischen Märchen

 

Ein Ehepaar mit einem Kind erfuhr von einer nahenden Katastrophe. Ein riesiger Sturm sollte über das Land kommen und alles hinwegfegen. Also bauten sie ein festes Haus aus Stein und schrieben all ihr Wissen auf die Wände. Mit einem Kupfermeißel zeichneten sie alles, was sie über Geschichten wussten, in die Wände des Hauses. So wären sie vor einem großen Sturm geschützt.

 

Da fragte das Kind: „Was ist, wenn kein Sturm kommt, sondern eine große Flut?“

 

Also begann das Ehepaar, um das Steinhaus herum ein großes Boot zu bauen. Auf die Planken des Bootes zeichneten sie alles, was sie über die Pflanzen kannten. So wären sie vor einer großen Flut geschützt.

 

Da fragte das Kind: „Was ist, wenn ein großes Feuer kommt?“

 

Also begann das Ehepaar, um das Boot herum ein festes Haus aus Lehm zu bauen. In die Wände des Lehmhauses gravierten sie alles hinein, was sie über die Künste wussten. So wären sie vor einem großen Feuer geschützt.

 

Da fragte das Kind: „Und was ist, wenn doch ein großer Sturm kommt?“

 

Nun wurde den beiden bewusst, dass es keinen absoluten Schutz gibt und dass alles so kommt, wie es kommen soll. Das Kind war in der Zwischenzeit herangewachsen, und um es zu schützen, gaben sie ihm etwas Reisegeld, Nahrung und ihren Segen. Das Kind zog hinaus in die Welt.

 

Als es nach vielen Jahren in sein Heimatdorf zurückkehrte, fand es nur noch Trümmer. Das Lehmhaus war vom Sturm hinweggefegt, das Holzboot von einem großen Feuer verbrannt, das Steinhaus von einer Flut weggespült.

 

Nun, was blieb?

 

Diese alte persische Form der Märchenerzählung, die von „dem Haus, in dem Haus, in dem Haus“ handelt, erinnert stark an das Rezept zur Herstellung des weiblichen Lapislazuli. Möglicherweise sehen wir hier eine Form der mündlichen Überlieferung von Rezepten und Anweisungen, wie sie noch in den Märchen des keltischen Raums oder auf dem Balkan zu finden sind.

Weiblicher Lapislazuli Lazuli

Auf einer Fahradreise durch Afghanistan

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Auf einer Reise zu den Lapislazuli-Minen in Afghanistan Anfang der 1980er-Jahre begegnete mir ein junger Mann aus der Gemeinschaft der Wakhi.

 

Diese Gruppe stellt die Mehrheit der Bevölkerung im Wakhan-Tal. Die Wakhi sind eine iranischsprachige Volksgruppe und sprechen Wakhi, eine östliche iranische Sprache. Sie leben hauptsächlich von Landwirtschaft und Viehzucht in dieser abgelegenen, bergigen Region Afghanistans. Der Wakhan-Korridor ist ein schmaler Streifen Afghanistans, der sich im äußersten Nordosten des Landes bis an die Grenze zu China erstreckt. Er ist spärlich besiedelt, mit kleinen Ansammlungen von Lehmhäusern, die sich entlang des Tals versteckt an den Rücken des Hindukusch und Pamir klammern.

 

„Warum suchst du nach Lapislazuli?“, fragte er mich. „Der weibliche Lapislazuli ist doch so viel schöner.“

 

Müde von der Fahrt und neugierig auf die Begegnung willigte ich dankend ein und begleitete ihn, die Hauptstraße verlassend, in ein verstecktes Dorf.

 

Dort wurde ich aufs Herzlichste von einer Gruppe von Bewohnern begrüßt, die schon seit Langem wussten, dass sich ein Deutscher auf dem Weg durch das Tal befand. Zunächst versorgten sie mich mit Tee und Brot.

 

Der junge Mann, der recht gut Englisch sprach, erzählte von unserer Begegnung und stellte mir dann allerlei Fragen aus der Gruppe, die er für mich übersetzte.

 

Als ich das Ziel und den Inhalt meiner Reise erklärte, erhielt ich als Antwort nur mitleidiges Lächeln und bedauerndes Kopfschütteln.

 

„Female Lapis Lazhward“, war die Antwort.

 

„Weibliches Steinblau“ wäre die Übersetzung aus drei Sprachen (Englisch, Lateinisch, Persisch).

 

Dieser besondere Schatz wird nicht mit Sklaven, Dynamit und Eisen aus tiefen Minen der Mutter Erde entrissen.

Er wird mit den Händen der Frauen in den Lehmöfen der kargen Häuser geschaffen – mit Geräten aus der Küche sowie Materialien aus den Bergen und Feldern. Seit Jahrtausenden ist es so selbstverständlich, dass es keiner Niederschrift bedarf.

 

Ein Gänsefußgewächs mit dem Namen Quashath wird getrocknet und zu weißer Asche verbrannt. Sand aus dem Fluss wird in einem Kupfermörser zu feinem Puder zermahlen und mit Baumgummi zu einem kleinen Körper geformt. Dieses Objekt wird nun in einem Bett aus Quashath-Asche in eine Kugel aus Tonerde gebettet.

Die Kugel wird dem Küchenlehmofen übergeben und bleibt über Nacht in der Glut.

 

Am nächsten Morgen wird sie geöffnet – und in der Asche liegt, in einem pudernden Bett, ein kleiner, strahlend blauer Körper.

 

Entstaubt, gewaschen und befreit von allem, bleibt so ein blauer, strahlender Schatz.

Zen Kaligrafie

One stroke painting

In der europäischen Kunstgeschichte herrscht seit Platon und Aristoteles die Idee vor, dass bildende Kunst eine Form der Information ist. „Seht, hier ist ein Bild vom König.“ – „Seht, hier ist ein Bild von der Hölle.“

Der Dualismus zwischen Inhalt und Form oder zwischen Abbild und Wirklichkeit prägt maßgeblich die europäische Kunst.

Diese ikonografische Idee setzt voraus, dass es einen Auftraggeber mit einer festen Intention gibt sowie eine beabsichtigte Wirkung, die erzielt werden soll. Es gibt also einen Sender und einen Empfänger.

Diese alte europäische Vorstellung in der Malerei wurde erst durch die großen Katastrophen der Weltkriege infrage gestellt. Der Impressionismus, der Kubismus und selbst der Konstruktivismus beinhalteten noch diese alte Idee. Erst die Gruppe Zero befreite sich von diesem Zwang, um nach dem Zweiten Weltkrieg einen Neuanfang zu wagen.

Kunst war von nun an frei – und damit unabhängig. Diese Unabhängigkeit führte jedoch dazu, dass sich der Elfenbeinturm in seiner Abstraktheit immer weiter von der Zivilgesellschaft entfernte. Auch in großen sozialen Kunstprojekten schlich sich immer wieder eine Art erhobener Zeigefinger ein: „Der Mensch muss dies lernen…“ – „Der Mensch darf das nicht mehr tun…“

Diese Form der Kunst ist keine Partizipation, sondern ein Befehl. Und wenn der Mensch auf etwas allergisch reagiert, dann auf Befehle – außer in bestimmten Notsituationen, in denen wir unserem Befehlsgeber blind vertrauen müssen.

Genau hier liegt das Problem bei der Vermittlung der nachhaltigen Entwicklungsziele. Blindes Vertrauen setzt voraus, dass alle Weisungen zu unserem Wohl sind. Doch selbst in aufgeklärten Demokratien schwindet dieses Vertrauen zunehmend.

Was wir brauchen, ist ein Partizipationsmittel mit einer niedrigen Schwelle. Und genau hier finden wir einen neuen Ansatz.

In der Zen-Malerei geht es nicht um ein fertiges Bild, sondern um einen Transformationsprozess. Es soll kein Abbild geschaffen werden, sondern Wirklichkeit. Und diese Wirklichkeit beginnt mit dem ersten Punkt, mit dem ersten Strich.

Alles an diesem ersten Schritt ist bedeutsam – auch der Ort, an dem keine Farbe ist, ebenso wie jeder Spritzer, der daneben geht. Die Struktur des Papiers ist genauso eine Wirklichkeit wie die Haare des Pinsels oder das Zittern des Handgelenks.

Diese Selbstwirksamkeit, dieses unmittelbare Erleben beim Malen, ist in der buddhistischen Zen-Malerei ein zentraler Faktor. Dasselbe Prinzip gilt für andere Tätigkeiten wie das Kochen von Tee, das Spülen oder das Fegen eines Hofes.

In meiner eigenen Zen-Malerei ist es mir besonders wichtig, auch die Farbe mit einzubeziehen. Ist diese Farbe giftig? Wer hat sie hergestellt? Mit welchem Geld habe ich sie bezahlt?

Ich kann mit Überzeugung sagen: Meine Farben sind ethisch rein. Sie wurden aus nachwachsenden Rohstoffen hergestellt, und alle, die an diesem Prozess beteiligt waren, gehören mit zur Wirklichkeit, die meine Bilder darstellen.

Wenn wir euch in den nächsten Tagen einladen, diese Prozesse kennenzulernen, dann werdet auch ihr Teil dieser Wirklichkeit.

Ich verstehe dies als eine Einladung. Bitte helft mir, diesen Transformationsprozess zu überprüfen, zu erweitern und zu kritisieren.

Lasst uns gemeinsam beginnen – mit einem Punkt. Und lasst aus den folgenden Strichen Wirklichkeiten entstehen.

Peter Reichenbach

Die letzten 25 Jahre. Vorbereitung für meine Bilder

 

Das Kunstprojekt sevengardens entstand aus dem Wunsch, natürliche Farben anstelle industrieller und umweltbelastender Materialien in der Kunst zu nutzen. Im Rahmen der Kulturhauptstadt Ruhr.2010 entwickelte sich daraus ein globales Konzept. sevengardens versteht sich als soziale Skulptur, die Kunst, Nachhaltigkeit und gesellschaftlichen Wandel miteinander verbindet.

 

Kunst wird hier als Motor für Veränderung gesehen – insbesondere in Hinblick auf die nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der UN. Wichtige Aspekte sind Partizipation, Selbstwertgefühl und das Bewusstsein, kommenden Generationen eine lebenswerte Welt zu hinterlassen. Unsere Gesellschaft ist von hohen Erwartungen geprägt, die aus einer industriellen Epoche stammen. Doch durch technologische Entwicklungen, Klimawandel und gesellschaftliche Umbrüche vollzieht sich ein Paradigmenwechsel. Die UN hat daher Programme zur Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE) geschaffen, um neue Kompetenzen zu fördern.

 

Im Rahmen der BNE wurden zwölf Gestaltungskompetenzen definiert, die Sach- und Methodenkompetenzen, Sozialkompetenzen und Selbstkompetenzen umfassen. Diese beinhalten unter anderem vorausschauendes Denken, interdisziplinäre Erkenntnisse, Partizipation, Empathie sowie die Fähigkeit, Zielkonflikte zu reflektieren. Da nicht jeder diesen Anforderungen gerecht werden kann, ist es essenziell, mit Misserfolgen konstruktiv umzugehen. Hier kommen sogenannte Schattenkompetenzen ins Spiel, die Menschen helfen, ein erfülltes Leben trotz Unsicherheiten zu führen. Dazu gehören Fehlerfreundlichkeit, Mut, Achtsamkeit, Gelassenheit, Verantwortung und Wertschätzung.

 

sevengardens unterstützt informelle Kompetenzen, die oft unbewusst vorhanden sind. Dies geschieht durch Selbstbestimmung am Lernobjekt, Ermutigung zur Subsistenz sowie durch Initiativen zur Wertschöpfung und Innovation. Besonders subkulturelle Gruppen können von diesem Ansatz profitieren, da sie bestehende Strukturen hinterfragen und neue Impulse setzen.

 

Die Umsetzung der SDGs zeigt sich bei sevengardens in zahlreichen Projekten, die stets ganzheitliche Lösungen bieten. Sie umfassen Themen wie Biodiversität, Wasser- und Bodennutzung, nachhaltige Landwirtschaft in Metropolen, handwerkliche Stärkung, Bildungsinitiativen und Klimaschutz. Durch regionale Produktion, Förderung von Frauen, Ressourcenschonung und nachhaltige Energiegewinnung leistet das Projekt einen konkreten Beitrag zur Transformation unserer Gesellschaft.

 

Über die Jahre ist sevengardens zu einem Netzwerk gewachsen, das individuelles Wachstum fördert und unterschiedliche Kompetenzen vereint. Unerwartet wurde die Methode selbst von der UNESCO zertifiziert und als RCE Ruhr von der UN University akkreditiert – ein Beweis für ihre Wirksamkeit als nachhaltige Bildungs- und Kunstbewegung.

Peter Reichenbach

Bildende Kunst, Soziokultur
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